Anlässlich des Antrags der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Hessischen Landtag (Drs. 20/5360) zur Entsorgung der Abfälle aus dem Abriss der Atomreaktoren fordert der Landesverband Hessen des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND Hessen) die Landesregierung auf, 10 Jahre nach Stilllegung des AKW Biblis endlich ein Gesamtkonzept vorzulegen, welche Mengen radioaktiven Abfalls wann zu welcher Entsorgung gebracht werden sollen und wie die Strahlenbelastung von Arbeitern und Bevölkerung minimiert werden kann.
Der Umweltverband verweist darauf, dass es begründete wissenschaftliche Kritik an den Modellen gibt, von denen die gesetzlich festgesetzten Grenzwerten abgeleitet wurden und der Antrag auf mangelhafte Einschätzung zu hessischen Deponiekapazitäten beruht. Zudem werde der Atommüll ausgespart, der in den Wirtschaftskreislauf abgegeben wird.
„Wenn die Modelle nicht belastbar sind und man nicht weiß, ob diese vor Ort eingehalten werden, stimmt das ganze System der Freigabe radioaktiver Abfälle nicht.“, sagt Dr. Werner Neumann, BUND-Atomexperte.
Deswegen führe der BUND Hessen eine Klage gegen die Freigabe radioaktiver Abfälle aus dem Rückbau des AKW Biblis, die seit Juli 2017 beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof anhängig ist.
Der BUND Hessen fordert, dass das Land Hessen die größtmögliche Sicherheit für Bevölkerung gewährleistet und die real absehbare Strahlenbelastung nicht kleingeredet wird.
"Wir haben nicht für die Stilllegung der Atomreaktoren gekämpft, dass nach dem Abriss Radioaktivität in Umwelt und Gegenstände verteilt wird und die Bevölkerung nicht weiß, ob und wo sie Strahlenbelastungen ausgesetzt wird“, sagte Guido Carl, stellvertretender Landesvorsitzender des BUND Hessen aus dem Kreis Bergstraße.
Der BUND lehnt die Verbreitung immenser Mengen von radioaktiv belastetem Abfallmaterial aus dem Abriss der Atomreaktoren Biblis A und B ab. Es geht um 60.000 Tonnen Beton, Metall und brennbare Stoffe, die auf Deponien abgelagert, eingeschmolzen oder verbrannt werden sollen. Hinzu kommen 270.000 Tonnen Betonabriss von Gebäuden. Darin sind etwa 1 Billiarde (10 hoch 15) Becquerel enthalten.
Die hiervon ausgehende Strahlung betrifft die Menschen, die auf den Deponien arbeiten und die in der Nähe von Deponien und Müllverbrennungsanlagen wohnen. Darüber hinaus können auch Privatpersonen durch die Nutzung von Metallprodukten betroffen sein, in denen radioaktives Metall aus den Reaktoren eingeschmolzen wird. Doch gerade zum uneingeschränkt freigemessenen Atommüll, der in den Wirtschaftskreislauf gegeben wird und bis in Privathaushalte gelangen kann, schweigt sich der Antrag vollständig aus. Es handelt sich um eine vermeidbare radioaktive Belastung der Bevölkerung durch die Hintertür, die für den BUND inakzeptabel ist.
Die von CDU und GRÜNEN im Antrag angeführten gesetzlichen Grundlagen entsprechen nicht dem Stand der Wissenschaft. Eine aktuelle Studie der Gesellschaft für Reaktorsicherheit zeigt mit neuen Modellberechnungen, dass die gesetzlichen Grenzwerte teilweise um das 100-1000-fache zu hoch sind (GRS-Bericht 506). Zweitens wurden Faktoren zur Herunterrechnung der Strahlenrisiken im Modell eingebaut, die nach Auffassung des Bundesamtes für Strahlenschutz nicht begründet sind. Drittens ist unklar, ob die Annahmen der Modelle bei Deponien und Müllverbrennungsanlagen in der Realität wirklich eingehalten werden. In anderen Bundesländern wurde dies untersucht, mit dem Ergebnis, dass die Modellbedingungen vor Ort nicht entsprechend waren. Viertens ist in Hessen völlig unbekannt, wieviel freigemessener Atommüll auf welche Anlage kommt.
"Alarmierend ist", so Werner Neumann, "dass Materialien, die Radioaktivität bis zu 1000 Becquerel pro kg aufweisen können, per Gesetz als nicht radioaktiv deklariert werden. Es sollen sogar möglichst viel radioaktive Abfälle in die Umwelt und in den Wirtschaftskreislauf freigegeben werden und dies bei offensichtlich zu hohen Grenzwerten. Dies widerspricht dem Gebot, Strahlenbelastungen der Bevölkerung so gering wie möglich zu halten."
Hinzu kommt, dass der Entwurf des Abfallwirtschaftsplans des Landes Hessen einen Mangel an Deponiekapazitäten aufweist, noch ohne Einbeziehung der Abfallmenge aus dem Atomkraftwerk Biblis. Nachdem die AKW-Betreiber die Verantwortung für den Atommüll auf den Staat geschoben haben, sollen nun die kommunalen Deponiebetreiber den schwarzen Peter für den Abfall aus Biblis erhalten. Hier droht ein Deponienotstand, dem man nicht durch Verteilung der radioaktiven Abfälle in die Umwelt begegnen darf. Schon jetzt verweigern bundesweit zahlreiche Deponiebetreiber oder Kommunen, wie aktuell in Lübeck, die Annahme solcher Abfälle. Ähnliche Auseinandersetzungen sind auch in Hessen zu erwarten.
Weitere Informationen
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Dr. Werner Neumann, Mitglied im Landesvorstand | Tel.: 0172 6673815 - Informationen zu Freigabekonzepten einer neuen Strahlenschutzverordnung
- Themenseite zum AKW Biblis
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